Krieg

Eigentlich wollte ich den Beitrag anders nennen – „von der Sprachlosigkeit des Krieges“, habe es mir dann jedoch anders überlegt. „Krieg“ als einzelner Begriff lässt eine umfassendere Beschreibung zu und sprachlos ist daran nichts. Ich erlaube mir, auf meiner eigenen Homepage immer mal wieder meinem Herzen (und mitunter auch meinem Hirn) Luft zu verschaffen, indem ich mich äußere. Ob das jemand liest und wer das ist – ich habe keine Ahnung und messe dem „Gelesen-Werden“ auch weniger Bedeutung bei als dem Schreiben selbst.

Klima, Corona, Ukraine. Seit nun mehr als zwei Jahren befinden wir „uns im Krieg gegen das Virus“, kämpfen gegen den „menschengemachten Klimawandel“ und „verteidigen unsere Freiheit in der Ukraine“. Ich setze diese Formulierungen in Anführungszeichen, nicht um sie ironisch zu betrachten, sondern um so zu verdeutlichen, um was es mir geht. Die Sprache des kriegerischen Handelns verleitet dazu, alle kritischen Stimmen zum Verstummen zu bringen, sie nicht nur zu überhören, sondern zu verleumden. Wer heute den „menschengemachten Klimawandel“ öffentlich in Frage zu stellen scheint (bspw. Vahrenholt), kann mit einem Shitstorm und weiteren Unannehmlichkeiten rechnen, gleiches gilt für all diejenigen, die Zweifel äußerten und äußern an der Art und Weise des Umgangs mit einer Infektionskrankheit (Wodarg schreibt auf seiner Seite bis heute „Viren sind nicht das Problem, bleiben Sie besonnen“)und wer sich schließlich kritisch zu dem „brutalen Angriffskriegs auf die Ukraine“ öffentlich Gedanken macht, bekommt es auch mit der Herrschaft der Meinung zu tun.

Da denke ich an Klaus von Dohnanyi und sein Gespräch mit Sandra Maischberger am 11.05.2022, ich höre Peter Scholl-Latour im Phoenix-Dialog (2014)und freue mich über alternative Gedankengänge – einerseits – und andererseits wird deutlich, wie einseitig und tendenziös gefärbt die überwiegende Berichterstattung in den „Leit“-medien ausfällt. Ob Corona, Ukraine, Klima, es scheint nur die eine Ansicht, die eine Richtung, die eine Haltung die „richtige“ zu sein, alles andere ist zu verhämen, als „Fake News“ faktencheckerisch abzutun. Soll es denn keinen Diskurs mehr geben?

Um es klarzustellen: ich bin gegen Krieg aller Art und vor allem auch gegen die Begleitumstände, die Krieg herbeireden und ihn als einziges Mittel propagieren. Ich bin gegen das Dämonisieren und „auf dem einen Auge blind machen“. Ich verurteile die Sprachfindung. Die drastischen Worte erzeugen Hysterie, Panik und wollen keinen Raum lassen für Ratio, Besonnenheit, für klugmachenden Austausch. Krieg ist der brutalste Ausdruck dieser Fantasielosigkeit und er ist zu vermeiden, immer, überall. Es ist nicht feige, Pazifist zu sein inmitten des Krieges. Es wird als feige und naiv gebrandmarkt, aber das ist Propaganda, die uns nahebringen will, was wir fühlen sollen. Nicht denken.

Ich bin 1966 geboren und Angehöriger eines Kriegsopfers. Mein Vater, Jahrgang 1923, war ein Mann von 1,96m Länge, blond und mit blauen Augen wurde er zum begehrten Ziel der Wehrmacht bzw. der Waffen SS. Sein Vater, mein Großvater also, war überzeugter SA-Mann und natürlich begeistert von der Aussicht, sein Sohn zöge in der Waffen SS in den Krieg. Mein Vater sträubte sich dagegen und wurde einfacher Landser in der Wehrmacht. Mit 19 Jahren kam er an die Ostfront, er lag mit seiner Einheit ca. zweihundert Kilometer vor Stalingrad und sollte im Spätsommer 1942 dorthin verlegt werden. Dazu kam es nicht, da mein Vater bei einem Schusswechsel schwer verwundet wurde und ins Lazarett kam. Sein Glück wurde 30 Jahre später zu seinem Unglück, denn Krankheitserreger, eingebracht durch diese Verletzung, nahmen in den Jahrzehnten nach dem Krieg den Organen seines Körpers sukzessive die Funktion. 1974 starb mein Vater im Alter von 51 Jahren an Organversagen.

Wenn ich heute die „Tagesschau“ sehe, die Zeitungen lese und Nachrichten über die Ukraine verfolge, ahne ich natürlich das Leid der Menschen in diesem Krieg. Ich sehe meinen Vater, der als junger Mann (mit 18!) in den Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs zog und dabei so viel Leid und Horror erlebte/erzeugte, dass er bis zum Ende seines Lebens kein einziges Wort darüber verloren hat. Ich ahne, wie grausam und langwierig Krieg sich einfrisst in das Leben der Generationen. Ich lehne Krieg ab, in jeder Form.

Als ich mich 1983/84 für die Kriegsdienstverweigerung vorbereitete, wusste ich noch nicht, dass ich, weil einziger Sohn, vom Wehr/Ersatzdienst auf Antrag zu befreien bin, wenn Vater oder Mutter Opfer des Krieges sind. Ich bereitete mich also vor und übte in Rollenspielen, wie ich diesen schwachsinnigen Gedankenspielen von „Sie gehen im Wald spazieren, da kommen Männer, die bewaffnet sind und wollen Ihre Freundin vergewaltigen – was tun Sie?“ so begegne, dass ich die „Gewissensprüfung“ bestehe und Zivildienst machen kann. Meine Haltung ist seitdem unverändert – ich würde meine Freundin beschützen, so gut ich es kann. Jetzt daraus abzuleiten, dass ich dann auch bereit sein müsste, „unser Land“, „unser Volk“, „unsere Freiheit“ zu beschützen und dafür andere Menschen töten solle: NEIN. Da mache ich nicht mit. Krieg ist Ausdruck geopolitischer. strategischer Interessen. Meine Freundin zu beschützen, ist etwas Anderes. Das ist persönlich, das ist private Notwehr. Für den Staat in den Krieg zu ziehen, sich verblenden und instrumentalisieren zu lassen, „weil es um die Freiheit“ geht – nein, das kann ich nicht, das lehne ich ab.

Ich bin entsetzt, mit welcher scheinbaren Leichtigkeit wir in Richtung „Krieg“ mobil machen, wir kopflos und panisch nur noch eine Richtung kennen (sollen), wie fanatisch es zugehen kann. Es hat für mich den Anschein, als wäre es vieler Menschen sehnsüchtigster Wunsch, in die Schlacht zu ziehen, sich unter der einen Fahne des absolut Wahren zu versammeln und, wenn es sein muss, pflichtbewußt den Heldentod zu sterben. Wie betrunken von dieser Sehnsucht torkeln viele in Richtung Abgrund – mich erinnern manche Parolen, Bilder und Aktionen an die Darstellungen der ersten Kriegstage in Deutschland 1914.

Wäre ich verantwortlicher Politiker, ich setzte mich ein für kritischen Dialog, für Diplomatie und für humanitäre Hilfe.

In Sachen Ukraine ist in meinen Augen viel zu viel geopolitisches Interesse der USA im Spiel und ich finde es erschreckend fahrlässig, wie ausgerechnet die Grünen, die „keine Waffen in Krisengebieten (zu) liefern“ versprachen, exakt dies nun vorantreiben. Auch sehe ich den Beitrittswunsch Finnlands und Schwedens zur NATO mit kritischen, fassungslosen Augen.

Ich plädiere für das Offenhalten der Diskursräume. „Alternativlosigkeit“ zu erklären und damit nur die selbst geschaffene „Perspektivlosigkeit“ zu kaschieren, ist all zu oft eine Bankrotterklärung kreativer Intelligenz. Ratio und Empathie statt Hysterie und Panik.

Besonnenheit? Ist der Reinke zu retten? Da sterben Menschen in der Ukraine, da leiden Menschen an einer Pandemie, die Klimauhr tickt unerbittlich – und der Reinke plädiert für Besonnenheit und Diskurs? Ja, genau. Gerade deshalb.

Je dringlicher und je bedrohlicher die Gefahr dargestellt wird, desto notwendiger und dringender halte ich Besonnenheit und kritische Distanz für geboten. Gerade die Ansichten derjenigen, die nicht in den Chor der Massenmeinung einfallen, können kreative Lösungen befördern – entscheidend scheint die Frage zu sein, ob diese Lösungen denn überhaupt gewollt sind.

Ich will keinen Krieg. Krieg ist dumm, Krieg macht dumm. Krieg ist mitunter viel feiger als der Pazifismus. Wenn wir es wirklich wollten, so meine Überzeugung, würden wir Wege finden, um Kriege zu verhindern und Frieden zu schaffen. Wir können das, wenn wir es wollen.

Ich bin zudem sehr erstaunt darüber, dass „in der Ukraine die Demokratie verteidigt wird“ und wir alle dazu gar nicht gefragt wurden. Demokratie leben!

Es ist leicht, Borcherts „Sag nein“ zu feiern, wenn es keinen Krieg gibt. Es ist in meinen Augen notwendig, gerade in kriegerischen Zeiten „NEIN“ zu sagen.

Dann gibt es nur eins!

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre. dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren – sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransport, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo – Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!

Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:

dann:

In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben –

die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen kraterzerrissenen Straßen –

eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen, gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig, unaufhaltsam – der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken –

in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln –

in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und Kirschsaft verkommen – das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln — zerbröckeln — zerbröckeln —

dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend – und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch – all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn – wenn – wenn ihr nicht NEIN sagt.

zitiert aus: Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk, Rowohlt 1986, Seite 318 ff

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