Wir haben es ja nicht besser gewusst…

Rainer Mausfeld, emeritierter Professor für Psychologie, hat in seinem Buch (2024) „Hybris und Nemesis“ eine in meinen Augen lesenswerte Abhandlung über den Demokratiebegriff und seinen Missbrauch vorgelegt. Ein Zitat daraus:

Ohne Beachtung der schon länger erwarteten Systemkrise des globalisierten Finanzkapitalismus lässt sich die Corona-Krise nicht in angemessener Weise verstehen. Durch sie konnte sich die kapitalistische Systemkrise fast unsichtbar machen und damit ihre Kosten wieder kurzerhand auf die Gesellschaft umlegen. In dieser Krise kamen unterschiedliche Zentren der Macht rasch zu der Erkenntnis, dass sie sich als ein einzigartiges globales Feldexperiment betrachten lässt, das sagenhafte Chancen bietet, Methoden der Bevölkerungskontrolle weiterzuentwickeln und zu erproben, durch die sich endlich die Risiken einer demokratischen Bedrohung beseitigen lassen. Methoden digitaler Überwachung und Methoden der Repression haben in dieser Krise einen gewaltigen Entwicklungsschub erfahren. In der Corona-Krise ist der autoritäre Geist, der im Kapitalismus immer latent oder offen vorhanden ist, wieder unverhüllt sichtbar geworden. In der Ukraine-Krise und im wieder aufgelegten Kalten Krieg gegen Russland und China verstehen sich die großen Medien – im Gleichklang mit der Mehrzahl der öffentlichen Intellektuellen – nicht lediglich als ›eingebettete Medien‹ einer parteiischen Kriegsberichterstattung, sondern geradezu als eigenständige Akteure im Kampfgeschehen, das sie vorantreiben und lenken wollen. Sie haben den Raum des Politischen noch weiter zerstört, indem sie ihn auf die jeweiligen Regierungspositionen – de facto die Position der USA – verengt haben und eine unbedingte (und somit vorbehaltlose) Unterstützung der jeweiligen Regierung verlangen. In dieser Krise sind die Folgen einer Sicherung geopolitischer Interessen der USA für die Bevölkerungen europäischer Länder so einschneidend, dass die tatsächlichen kausalen Determinanten dieser Krise und auch ihre gravierenden Folgen für eine europäische Sicherheitsarchitektur und für europäische Wirtschaftsinteressen mit zuvor nicht bekanntem medialem Aufwand verschleiert werden müssen. Mit der Corona-Krise und mit dem Krieg in der Ukraine haben sich auch die öffentlich-rechtlichen Medien in einem nochmals verstärkten Maße ihres publizistischen Auftrags entledigt. Sie selbst befinden sich im Kriegsmodus. Der Kampf um die öffentliche Meinung, der seit je kapitalistischen Demokratien eigen ist, ist damit zu einem Kampf gegen die eigene Bevölkerung geworden, und zwar zu einem, in dem alle medialen Ressourcen umfassend für Kampfzwecke in Anspruch genommen werden. Dabei werden von den großen Medien schwerwiegende Grundrechtseinschränkungen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit nicht nur unterstützt, sondern ihre Verschärfung aktiv gefordert. In diesem Kampf um die öffentliche Meinung haben sie den öffentlichen Diskurs entzivilisiert, indem sie den Andersdenkenden zum Feind erklären und schonungslos medial verfolgen. Die Massenmedien haben im vergangenen Jahrzehnt die Maske eines demokratischen Anspruchs vollends fallengelassen und sind zum Hauptmotor einer Entzivilisierung des politischen Raumes geworden. Sie haben zu einer Verrohung der öffentlichen Debatte beigetragen und den Debattenraum einer sich als plural und demokratisch verstehenden Gesellschaft schwer beschädigt. Der Missbrauch der öffentlich-rechtlichen Medien durch ihre Indienstnahme für »außerpublizistische Zwecke« einer Stabilisierung herrschender Machtverhältnisse ist mittlerweile dermaßen zur Regel und zur Normalität geworden, dass er in der Öffentlichkeit kaum noch auffällt.Mit jeder Krise der vergangenen Jahrzehnte wurde der Raum des Politischen, in dem es um die Verhandlung von Angelegenheiten geht, die als politische jeden angehen, weiter verengt.

Das Wesen des Politischen besteht gerade im Fehlen von Einvernehmlichkeit. Eine Konformität der Meinungen ist der Tod des Politischen. Der Raum des Politischen ist gerade das Herzstück der Demokratie. Das Wesen der Demokratie besteht darin, egalitäre Prozeduren anzubieten, durch die sich die Pluralität und Heterogenität unterschiedlicher Interessen, Werte und Meinungen für ein politisches Handeln miteinander in Einklang bringen lassen. Verkörpert wird der Raum des Politischen durch den öffentlichen Debattenraum, der zudem Möglichkeiten zur Erkundung von alternativen Sicht- und Handlungsweisen und damit zu einem kollektiven Lernen bietet. Wird der öffentliche Debattenraum zerstört, wird der Demokratie die Luft zum Atmen entzogen. Da freilich der Demokratie in einer kapitalistischen Demokratie schon deswegen die Grundlage entzogen ist, weil die Kontrolle der Meinungsbildung zu ihrer Funktionslogik kapitalistischer Demokratien gehört, gelangt auch die immer umfassendere Zerstörung des öffentlichen Debattenraumes bei der überwiegenden Mehrheit kaum ins Bewusstsein. Denn es sind ja schließlich auch weiterhin eine freie Meinungsartikulation und auch fundamentaler Dissens möglich – und sogar erwünscht, um die Illusion einer demokratischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Für kritische Stimmen gilt dies jedoch nur so lange, wie sie politisch wirkungslos bleiben. Da in Krisen die Gefahr steigt, dass Dissens politisch wirksam werden könnte, kommt in ihnen der Begrenzung und der Ächtung von Dissens eine besondere Bedeutung zu.“

Mausfeld, Rainer. Hybris und Nemesis: Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren (S.365-366). Westend Verlag. Kindle-Version.

Es ist nun ein Leichtes, sich als Opfer der Kommunikation zu Zeiten der Corona-Pandemie zu verstehen und sich mit dem Hinweis auf „den uns trennenden dogmatischen und panischen Umgang“ mit Corona jeder Mittäterschaft und jeden Mitläufertums zu entledigen. Eine äußerst fragile Selbstinszenierung als „Opfer der Umstände“ – viele Äußerungen machen dazu die Runde; es scheint wenig Bereitschaft und wenig Interesse an einer Aufarbeitung des Geschehens zu existieren. Dabei – und es lässt sich gar nicht laut genug und gar nicht oft genug formulieren – gab es schon zu Beginn des Wahnsinns im März 2020 Menschen vom Fach, die der herrschenden Meinung widersprachen. Sie alle wurden aus den Mainstreammedien getilgt, unsichtbar gemacht in Fernsehen, Rundfunk, Tagespresse und wirkten im Internet auf eigenen Kanälen. Wodarg und Bakhdi, um nur zwei zu nennen, warnten schon früh vor dem Schuss „mit Kanonen auf Spatzen“, entschärften die Panik und gaben eine andere Sicht der Dinge zu Protokoll. Das Wesen aller Wissenschaft ist Zweifel und genau dieser wurde vermieden, ausgelöscht; der Szientismus feierte und feiert Urständ‘. Das als Blick auf die gesamtgesellschaftliche Lage – zumindest nach meiner Wahrnehmung. Und es geht, da Makro- und Mikroebene zusammenhängen, natürlich auch eine „Nummer kleiner“ – im Privatbereich war (und ist) ja Ähnliches zu erleben: Wer anderes denkt, wer Zweifel sät (im besten Interesse an der Suche nach Wahrheit!), der wird gemieden, diffamiert und soll nicht stattfinden.

Ich habe Freunde verloren, beste Freunde, die ich seit 40 Jahren kenne, mit denen ich durch „Dick und Dünn und auch durch Dick und Doof“ gegangen bin. Sie sind weg. Menschen, denen ich mich freundschaftlich verbunden fühlte, kommen heute mit Sätzen um die Ecke, die mich sprachlos machen – „wir haben es doch nicht besser wissen können, das war ja ein neues Virus, keiner hatte Plan, es war der panische Umgang, es war das Dogma der Zeit“.

Nein, das sehe ich komplett anders. Es ist Eure Verantwortung. Ich habe niemanden ausgegrenzt, der anderer Meinung war als ich, habe den Kontakt zu Geimpften und auch den heftigsten Befürwortern der Maßnahmen nicht abgebrochen – ich habe nur zugesehen, wie sie gingen, sich von mir abwandten. Meine Tür stand immer offen. Und jetzt soll Stillschweigen herrschen über Corona und die Übergriffigkeit des Staates, über das Erzeugen (und Annehmen!) von Konformitätsdruck und Folgebereitschaft? Für viele scheint es auszureichen, wenn sie sagen: WIR KÖNNEN DOCH NICHT DAFÜR! ES IST DOCH NICHT UNSERE SCHULD, DASS WIR DICH AUSGEGRENZT, AUSGELADEN, GEMIEDEN, IDIOT GENANNT HABEN!

„Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen….“

Nein, so nicht. Ich verzeihe jedem, der sich mir gegenüber doof und gemein verhalten hat – wenn er mich darum bittet. Ich kann und will keine „Absolution“ denen erteilen, die aus reiner Mitläuferschaft den Kopf in den Sand gesteckt haben, sich heute bloß auf „die Umstände“ berufen und sich ihrer eigenen Verantwortung komplett und schlicht zu entziehen suchen. Es wäre an der Zeit, dass verantwortliche Politiker, Manager und Presseleute uns alle um Verzeihung bitten. Verzeihung aber wofür? Dafür, die Andersdenkenden nicht gehört haben zu wollen? Ja. Sie könnten auch erklären, warum sie das nicht taten. Ich befürchte allerdings, dass ich in dem Punkt ein doch eher naiver Zeitgenosse bin 🙂

Wenn „Angst essen Seele auf“ stimmt – und davon gehe ich aus – dann ist es in meinen Augen doch nur klug und geboten, sich genauer anzuschauen, was die Angst auslöst, wer die Angst verbreitet und wie berechtigt diese Angst ist. Angstmacherei ist auch ein Machtinstrument – das schien von denen, die ins Bockshorn gejagt wurden, vergessen worden zu sein.

Das offizielle Coronaregime aus Regierung, Medien und „der Wissenschaft“ hat hier das ganze Register gezogen, das volle Programm der Massenkommunikation und Indoktrination gezeigt: Überall, wirklich überall wurden Testwerte, Testergebnisse, Inzidenzwerte und weitere Zahlen verbreitet, stets im Panikmodus, stete Alarmbereitschaft – das alles war zermürbend, erschöpfend, belastend. Alles Gründe, zumindest aus meiner Sicht, den Dingen nachzugehen. Einige taten das, kamen zu anderen Einschätzungen als „die Wissenschaft“ und wurden an den Pranger gestellt, diffamiert, beleidigt, stigmatisiert, isoliert. „Diese Regeln dürfen niemals hinterfragt werden„, sagte Lothar Wieler, der Präsident des RKI. Genau, das tat man dann auch nicht und wer doch fragte, bekam mindestens Ärger, wenn nicht ganz andere Probleme. Die Webseite „ich habe mitgemacht“ ist ein wichtiges Zeitdokument.

Interessant und brisant ist in dem Zusammenhang meiner Ansicht nach auch die Arbeit von „Multipolar“. Sie haben sich den Zugang zu Dokumenten aus dem Coronaregime juristisch erkämpft, erhielten geschwärzte Papiere und konnten dennoch nachweisen, dass die Frühjahr 2020 erfolgte Hochstufung der Gefährdungsklasse für Corona weniger einer wissenschaftlichen Arbeit folgte als viel mehr auf Geheiß der Politik.

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